Schlaf

Das stille Lebenselixier

Des Nachts, wenn alles schläft, schwärmen sie aus, die Heinzelmännchen. Sie räumen auf, putzen, reparieren und organisieren. Kurz: Sie erledigen, was tagsüber liegen geblieben ist, damit am nächsten Morgen alles in neuem Glanz erstrahlt. Das ganze Leben lang warten wir vergeblich auf die nächtlichen Helferlein – und übersehen, dass sie seit jeher unseren Schlaf bevölkern. Zwar bringen sie nicht unsere Wohnung in Ordnung, dafür unseren Körper. Von Housekeeping, einem Begriff aus der Hotellerie, spricht denn auch Christine Blume, Schlafforscherin am Zentrum für Chronobiologie der Universität Basel. Doch was in den geheimnisvollen Stunden unseres Schlafs wirklich vor sich geht, birgt immer noch viele Rätsel.

Was wir über den Schlaf wissen

Bekannt ist: Es braucht die Ruhe der Nacht, damit wir am Tag funktionieren. «Während des Schlafs sind wir nicht mit neuem Input von aussen konfrontiert», erklärt Blume. Kaum Sinneseindrücke, weniger Krankheitserreger, keine kognitiven oder motorischen Aufgaben. «Eine ideale Situation, um Ressourcen aufzufüllen für Prozesse, die im Wachzustand einwandfrei laufen müssen.» Schlaf ist kein passiver Zustand, wie lange Zeit gedacht wurde. Im Gegenteil, während wir nichtsahnend schlummern, werden Wachstumshormone freigesetzt, Gewebeschäden repariert, das Immunsystem löscht Entzündungen, die während des Tages entstehen, und die Immunabwehr wird gestärkt. Zudem reinigt sich das Gehirn von Stoffwechselprodukten, die sich im Wachzustand ansammeln.

Schlaf schafft Ordnung

Im Gehirn ist aber noch viel mehr los. Tagsüber prasseln ohne Unterbruch Sinneseindrücke auf uns herein. Wir machen Erfahrungen und entdecken neue Zusammenhänge. Dabei werden unzählige Verbindungen zwischen den Nervenzellen geschaffen und die Lernprozesse auf diese Weise abgespeichert. Für eine nachhaltige Gedächtnisbildung ist die Nachtruhe jedoch essenziell, wie Albrecht Vorster in seinem Buch «Warum wir schlafen» beschreibt: «Schlaf ist der Zeitraum, in dem überschüssige Verbindungen wieder zurückgestutzt werden. Er lichtet das Gewirr an kurzfristig dahingeschusterten Hilfsverbindungen und bringt Ordnung und Ruhe ins Gehirn.»

Schlaf ist unverzichtbar

Guter Schlaf gilt neben Bewegung und Ernährung als entscheidender Gesundheitsfaktor. Die meisten Menschen brauchen zwischen sieben und neun Stunden Schlaf. Wer von sich behauptet, mit vier Stunden auszukommen, gehört entweder zu einer ganz kleinen Minderheit oder irrt sich gewaltig. Studien legen nahe, dass Erwachsene, die rund acht Stunden schlafen, am längsten leben. Hinter einem deutlich höheren Schlafbedürfnis können unerkannte Erkrankungen stecken.

Kein Lebewesen kommt ohne Schlaf aus. Und das, obwohl wir dann besonders angreifbar sind. Nicht nur verlieren wir unser normales Bewusstsein, sondern auch unsere Reaktionsfähigkeit. Um die damit verbundenen Risiken zu minimieren, hat sich die Natur viel einfallen lassen. Der Glasfrosch etwa kann während des Schlafs einen Grossteil seines Blutes in der Leber speichern. Dadurch wird er annähernd durchsichtig und ist vor Fressfeinden perfekt getarnt. Oder Pferde: Dank einer ausgeklügelten Konstruktion ihrer Kniegelenke können sie auch im Stehen ein Nickerchen halten, um bei Gefahr umgehend die Flucht zu ergreifen.

Sieben bis neun Stunden sollten es sein

«Die Gehirnprozesse verändern sich im Schlaf extrem», so Christine Blume. «Ein schlafendes Gehirn sieht nicht im Entferntesten so aus wie ein waches.» Wird die elektrische Aktivität des Gehirns gemessen, lassen sich vier verschiedene Schlafstadien unterscheiden, die sich pro Nacht mehrmals wiederholen. Auf die Einschlafphase folgt die Leichtschlafphase. Sie macht rund 50 Prozent der gesamten Nachtruhe aus und zeigt ein ganz eigenes Hirnstrommuster: Die Alpha-Wellen – im entspannten Wachzustand das vorherrschende Muster in den Hirnströmen – sind verschwunden. Danach nimmt die Entspannung weiter zu. Die Gehirnaktivität verlangsamt sich und die Wellen werden höher, bis im Tiefschlaf Delta-Wellen dominieren. Jetzt sind wir kaum aufzuwecken.

Träume sind ein Rätsel

«In der zweiten Nachthälfte wird der Tiefschlaf zunehmend durch REM ersetzt», sagt Blume. Die Hirnwellen ähneln dem Wachzustand, aber die Muskeln sind gelähmt. Die Schlafenden träumen intensiv und die Augen bewegen sich schnell, deshalb die englische Bezeichnung «rapid eye movement», kurz REM. Gerade in Bezug auf unsere Träume sind noch viele Fragen ungeklärt: Soll die Muskellähmung tatsächlich sicherstellen, dass Träume nicht in reale Handlungen umgesetzt werden? Haben Träume eine echte Funktion, etwa die emotionale Verarbeitung von Erlebnissen? Oder sind sie nur ein irrelevantes Nebenprodukt unserer Gehirnaktivität?

Obwohl wir nur 10 bis 20 Prozent der Nacht im Tiefschlaf verbringen, ist diese Phase besonders wichtig, denn nun läuft die Generalüberholung des Körpers auf Hochtouren. Indem der interne Akku aufgeladen wird, baut sich der Schlafdruck – das, was wir als Müdigkeit empfinden – ab. Es ist ein Mythos, dass der Schlaf vor zwölf besonders erholsam sei. Entscheidend ist der Tiefschlaf, und der findet sich vor allem in der ersten Hälfte der Nachtruhe, nahezu unabhängig davon, wann wir zu Bett gehen.

Lerche oder Eule?

Ob jemand eine Lerche ist und schon vor 22 Uhr in die Federn kriecht oder aber eine Eule, die erst nachts um zwei in den Schlaf fällt, ist genetisch bedingt. «Die meisten haben eine Eulentendenz und gehen zwischen elf und halb eins zu Bett», weiss Christine Blume. Gerade für Jugendliche, die in der Pubertät naturgemäss später müde würden, sei der gesellschaftliche Rhythmus deshalb oft zu früh. Als unsere Gesellschaft noch landwirtschaftlich geprägt war, entsprach der zeitige Tagesbeginn wohl eher einem breiten Bedürfnis. Denn je mehr Tageslicht am Morgen, desto früher wird gegen Abend die Melatonin-Produktion im Körper hochgefahren und wir werden müde. So fielen damals auch Eulen weniger spät in den Schlaf als heute, wo wir viel Zeit in geschlossenen Räumen verbringen. Glücklicherweise lässt sich verpasster Schlaf in einem gewissen Mass nachholen, indem in der Folgenacht die Tiefschlafphase ausgedehnt wird. Aber Achtung: Zu kurze Nächte unter der Woche können am Wochenende nicht vollständig kompensiert werden.

Wieder schlafen lernen

Erst wenn der Schlaf nicht mehr ohne weiteres kommt, erkennen wir, wie wichtig er für unser Wohlbefinden ist. Rund ein Drittel der Bevölkerung klagt über schlechten Schlaf. Manchmal sind körperliche Ursachen der Grund, etwa Atemaussetzer, so genannte Schlafapnoe. Aber der weitaus grösste Feind erholsamen Schlafs ist Stress.

Doch was tun, wenn man Nacht für Nacht wach liegt? «Schlafdruck ist das stärkste Schlafmittel», betont die Schlafforscherin. Bleiben Betroffene morgens länger im Bett oder halten tagsüber ein Nickerchen, um ihr Schlafdefizit auszugleichen, ist das der falsche Weg. Oft wird im Rahmen einer Therapie die Zeit im Bett zunächst sogar verkürzt. Sechs anstatt acht Stunden, das macht müde, sehr müde – und so gelingt es vielen, endlich wieder ein- und durchzuschlafen. Christine Blume bringt es auf den Punkt: «Wer nicht schläft, kann nicht wach sein. Aber wer nicht wach ist, kann auch nicht schlafen.»

Buchtipp

Albrecht Vorster: Warum wir schlafen.
Weshalb unsere Beine manchmal keinen Schlaf finden, auch Schnecken sich schlau schlummern und andere faszinierende Erkenntnisse über den unbekannten Teil unseres Lebens. Wilhelm Heyne Verlag, 2019. Nachts verschlafen wir eine der Meisterleistungen unseres Körpers. Der Schlafforscher Albrecht Vorster verknüpft informativ und unterhaltsam den aktuellen Forschungsstand mit Alltagssituationen, Fallbeispiele und Erkenntnisse aus dem Tierreich. Ein Buch, das uns die Augen öffnet.

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Podcast

Über Schlafen – von Melatonin, Jetlag und Schlafwandeln
Wöchentlich liefern Wissenschaftsjournalistin Ilka Knigge und Schlafforscherin Dr. Christine Blume spannende Geschichten und erhellende Details aus dem Reich des Schlafs.

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Gute Nacht

Mit diesen Tipps schlafen Sie tief und fest

Am Vormittag – 

Tageslicht tanken

Ein Spaziergang an der frischen Luft, zu Fuss zur Arbeit oder ein Mittagessen in der Sonne hebt nicht nur die Stimmung, sondern verbessert auch den Schlaf. Verbringen Sie mindestens eine halbe Stunde draussen – am besten in Kombination mit Bewegung.

Am Nachmittag – 

Schlafen vermeiden

Ein Powernap am Nachmittag mag erholsam sein, fällt das Nickerchen jedoch zu lang aus, kann es mehr schaden als nützen. Jetzt heisst es Schlafdruck aufbauen, wenn Sie nachts nicht wach liegen wollen.

Ab 16 Uhr – 

Kein Koffein

Ein Powernap am Nachmittag mag erholsam sein, fällt das Nickerchen jedoch zu lang aus, kann es mehr schaden als nützen. Jetzt heisst es Schlafdruck aufbauen, wenn Sie nachts nicht wach liegen wollen.

Am Abend – 

Bleiben Sie «trocken»

Alkohol kann zwar beim Einschlafen helfen, erschwert je- doch das Durchschlafen. Was zuerst entspannt, stresst den Körper später in der Nacht: Alkohol erhöht die Herzrate, ist harntreibend und macht den Schlaf instabil.

1 bis 2 Stunden vor dem Schlafengehen – 

Einschlafritual

Alkohol kann zwar beim Einschlafen helfen, erschwert je- doch das Durchschlafen. Was zuerst entspannt, stresst den Körper später in der Nacht: Alkohol erhöht die Herzrate, ist harntreibend und macht den Schlaf instabil.

Ab ins Bett – 

Regelmässigkeit

Sind Sie eher eine Lerche und gehen gern früh zu Bett oder eine Eule und machen die Nacht zum Tag? Finden Sie Ihren persönlichen Rhythmus. Legen Sie sich jeden Tag möglichst zur gleichen Zeit schlafen und stehen Sie zur selben Zeit auf am besten auch am Wochenende. Aber noch wichtiger: Gehen Sie erst zu Bett, wenn Sie wirklich müde sind!

In der Nacht – 

Aufstehen statt Schäfchen zählen

Falls Sie nicht einschlafen können oder in der Nacht auf- wachen, bleiben Sie nicht im Bett liegen! Stehen Sie auf und beschäftigen Sie sich mit etwas Ruhigem, bis Sie sich wieder müde fühlen, etwa mit Lesen oder Malen.

Bei Schlafstörungen – 

Wenn es trotz allem nicht klappt

Ein- und Durchschlafstörungen sind gut behandelbar. Können körperliche Ursachen ausgeschlossen werden, wird in der Regel eine kognitive Verhaltenstherapie verordnet. Schlafmittel gehören unbedingt in fachkundige Hände. Wenden Sie sich an Ihre Ärztin oder Ihren Arzt, wenn Ihnen der Schlaf mehr Sorgen denn Erholung bereitet.

Autorin: Zoe Arnold